KLASSIK
CDs
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NEUES AUS
DER MUSIKWELT
Johannes Brahms
EIN DEUTSCHES REQUIEM
Vocal Concert Dresden, Dresdner Kreuzchor,
Dresdner Philharmonie u. a., Roderich Kreile
Berlin/Edel CD___________________ (68}
Anders als so mancher Kollege
kennt Roderich Kreile nicht nur die
Stärken, sondern respektiert auch
die Grenzen seines Knabenchores.
Im zweiten Satz des Brahms-Re-
quiems etwa, „Denn alles Fleisch,
es ist wie Gras“, hat man schon so
manches üble Gequetsche von jun-
gen Stimmen gehört. Nicht so bei
Kreile. Er lässt dem Orchester im
Fortissimo dessen naturgegebenen
Vortritt und wahrt so die Klangkultur
des Dresdner Kreuzchores.
Eine kluge Entscheidung. Eben-
so wie die, sein traditionsreiches
Ensemble mit dem Vocal Concert
Dresden zu erweitern. Denn durch
die erwachsenen Sänger bekommt
der Klang mehr Volumen; wie schon
gleich zu Beginn, beim fast unhör-
bar leisen Einsatz „Selig sind, die da
Leid tragen“. Anstatt den anspruchs-
vollen Chorpart des Requiems al-
leine stemmen zu müssen, sind die
Knabenstimmen hier eher eine be-
sondere Klangfarbe, wie der Cover-
text treffend anmerkt. Ob die einem
nun zusagt und ob sie zum romanti-
schen Ton der Musik passt, ist eine
Frage des Geschmacks. Die mitunter
etwas aufgesagt anmutende Textbe-
tonung bestärkt jedenfalls den Ein-
druck des Bubenhaften.
Umso krasser wirkt der Kontrast
zum Baritonsolisten. Daniel Ochoa
legt sein „Lehre doch mich“ an, als
wolle er pro Ton möglichst viele Vib-
ratoschwingungen
unterbringen
und röhrt das Phrasenende „davon
muss“ wie ein verhinderter Wotan.
Dagegen entfaltet Sibylla Rubens
die ihr eigene Leuchtkraft ohne hör-
bare Mühe, aber auch ohne jene In-
nigkeit, die der Sopransatz eigent-
lich bräuchte. Dieses vokale Gesche-
hen bettet Roderich Kreile in den
weichen Klang der Dresdner Phil-
harmonie, den die Aufnahme trotz
halliger Kirchenakustik sehr trans-
parent abbildet.
Marcus Stäbler
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Franz Schubert
KLAVIERSONATEN D 784, 958-960
Paul Lew
is
Harmonia mundi
2
CDs
(
129
’)
Ähnlich seinem Mentor Alfred Bren-
del ist Paul Lewis ein passionier-
ter Schubertianer. Mit seinem Pro-
jekt „Schubert And The Piano: 1822-
1828“ war er in den vergangenen
Jahren in der ganzen Welt sehr er-
folgreich unterwegs, um dessen Ein-
satz für den lange Zeit unterschätz-
ten Sonatenkomponisten Schubert
fortzuführen.
Harmonia mundi legt mit diesem
dritten Doppelalbum weitere Ergeb-
nisse der Auseinandersetzung Lewis’
mit Schuberts Musik vor und kombi-
niert dabei erstmals Neuaufnahmen
(D 784 und 958) mit Übernahmen äl-
terer Lewis-Titel (D 959 und 960). In-
terpretatorisch und aufnahmetech-
nisch ist dies ohne Weiteres vertret-
bar, auffällige Brüche zwischen Al-
tem und Neuem sind kaum zu er-
kennen. Denn der 42-jährige Brite
widmet sich allen vier Werken mit
der gleichen, für ihn typischen Sorg-
falt, Ernsthaftigkeit und emotionalen
Kontrolliertheit. Wenn er ausnahms-
weise Eigenwilliges ins Spiel bringt
(wie mit den vielen stark gedehnten
Fermaten im Adagio der c-Moll-So-
nate), geschieht dies auf sehr de-
zente Weise. Aufs Ganze gesehen
halten seine Darstellungen stilis-
tisch die grundsolide Mitte zwischen
Schiffs Geschmeidigkeit und Oppitz’
Schwere, prägnant persönliche oder
tiefschürfende Formulierungen a la
Kempff oder Uchida scheinen noch
nicht einmal angestrebt.
Als einen Schönheitsfehler emp-
finde ich allerdings Lewis’ häufigen
Verzicht auf Wiederholungen - zu-
mindest im Fall der großen B-Dur-So-
nate. Und natürlich sind bei genau-
erem Hinhören auch leichte Unter-
schiede des interpretatorischen Rei-
fegrades zu bemerken: Lewis spielt
zwar immer schön legato, gebunden,
aber oft nicht wirklich „gesungen“,
und die Finalsätze für meine Begrif-
fe oft um einiges zu beiläufig ab.
Ingo Harden
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M ichael Nyman
CHASING PIANOS
Valentina Lisitsa
Decca/Universal CD
VALENTINA LISITSA
C h ju itu t T c-
MICHAEL NYMAN
Nachdem sich die Pianistin Valenti-
na Lisitsa mit ihren Liszt- und Rach-
maninow-CDs einen guten Namen
als Interpretin für das große Virtuo-
sen-Repertoire gemacht hat, über-
rascht sie nun mit einer ganz ande-
ren Facette der Klaviermusik. Mit
Kompositionen von Michael Nyman
lädt die 44-jährige Künstlerin zum
Träumen ein und lässt eine reiche
Bilderflut vor dem inneren Auge des
Zuhörers entstehen. Die meisten
der 25 Stücke, oft nicht länger als
drei Minuten, stammen aus dem
Film „Das Piano“, aber auch Mu-
siken aus „Wonderland“ und Pe-
ter Greenaways Kultfilm „Der Kon-
trakt des Zeichners“ oder dem japa-
nischen Zeichentrickfilm „Das Tage-
buch der Anne Frank“ sind hier zu
einer wirkungsvollen Hommage ver-
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'
H arrison B irtw is tle
CHAMBER MUSIC
Lisa Batiashvili, Adrian Brendel, Till Fellner, Amy
Freston, Roderick Williams
ECM/Universal CD_________________ (66}
Alfred Brendels 75. Geburtstag ist
nicht ganz unschuldig an dieser
Veröffentlichung. Zu jenem An-
lass bestellte das Klavier-Festi-
val Ruhr nämlich bei Harrison Birt-
wistle ein Duo für Cello und Kla-
vier, das von Brendels Sohn Adrian
und Till Fellner uraufgeführt wur-
de. Aus dem „Lied ohne Worte“ ist
inzwischen ein ganzer Zyklus von
Kammermusikstücken erwachsen:
„Bogenstrich - Meditations On A
Poem Of Rilke“ (2006/09), des-
sen traumverhangene Instrumen-
talteile von Rilkes „Liebes-Lied“
umrahmt werden. Eine Vertonung,
die als schwermütige Litanei der
ultimativen Liebe nachsinnt, um-
rankt von einer schattenhaften Cel-
lo-Stimme.
eint. Nymans große Kunst besteht
darin, Stimmungen so universell
einzufangen, dass die Musik kei-
nerlei Erklärungen bedarf. Welches
enorme Spektrum ihm bei den zu-
meist melancholisch verträumten
Miniaturen zur Verfügung steht, ver-
blüfft besonders, wenn man diese
Melodien wie auf dieser Veröffent-
lichung direkt hintereinander hört.
Dass Nymans Klaviermusik -
trotz einer gewissen Eindimensio-
nalität - so lebendig und reich, so
kunst- und wertvoll klingt, ist das
große Verdienst von Valentina Li-
sitsa. Mit ihrem kraftvoll leuchten-
den Ton verleiht sie den Werken ein
klangliches Rückgrat, durch die si-
chere Balance von Melodie- und
Begleitstimme unterstreicht sie die
kompositorische Dichte und ver-
steht wiederkehrende Phrasen im-
mer wieder differenziert zu schat-
tieren. Dabei läuft sie nie Gefahr,
ins allzu Sentimentale abzudriften,
sondern spielt die Stücke mit ei-
ner ordnenden Strenge, als handle
es sich um ein Präludium von Bach
oder ein Chopin-Nocturne.
Frank Siebert
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Die vollendete Versen kung ins Me-
lancholische findet mit den „Settings
Of Lorine Niedecker“ (1998/2000)
statt. Die zwölf Miniaturen über
Texte der amerikanischen Dichterin
zeigen sich als auf das absolut We-
sentliche konzentrierte Zwiespra-
chen oder doch eher Selbstgesprä-
che mit instrumentalem Schatten.
So wie Niedeckers Naturbilder, die
eigentlich Seelenbilder sind, kein
Wort zu viel sagen, findet Birtwistle
hier eine Sprache, die sich total zu-
rücknimmt und dabei unmittelbar
anrührt. Amy Frestons Sopran lässt
die elegischen Linien wunderbar
unprätentiös durch einsame Räume
schweben. Aber eigentlich ist Ad-
rian Brendels hochsensibles Cello
der heimliche Hauptdarsteller dieser
ganz der lyrischen Seite Birtwistles
verpflichteten Produktion.
Dessen „Trio“ (2010) entpuppt
sich als eklektizistische Anverwand-
lung „klassischer“ Klaviertrio-Tradi-
tionen mit einem dicken Schuss Fin
de siècle. Das mag überraschend
altbacken erscheinen, aber die In-
timität der Darbietung überzeugt
auch hier .
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Dirk Wieschollek
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148 STEREO 7/2014
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